Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Gäste!
Eigentlich … ... eigentlich habe ich in den vergangenen zwei Jahren oft genug vor euch gestanden und zu euch gesprochen. ... eigentlich war die allerletzte Kollegstufeninformation ja schon am 14. Juni. … eigentlich hatte ich meinen Rücktritt von der Rednerliste schon bekannt gegeben. … denn eigentlich wollte ich heute Abend einmal überhaupt nichts sagen! ... eigentlich ...
Aber dann lag vor drei Tagen ein Brief im berühmten Kollegstufenbriefkasten: Was mir denn einfallen würde! Das hat es doch noch nie gegeben, dass der Kollegstufenbetreuer bei der Abiturfeier nichts sagt! Das geht doch nicht! Und überhaupt: Nein, Herr Gnandt!
Also
gut, doch im Gedächtnis gewühlt, Zitate gesucht, Gedanken gemacht – man
hat ja sonst nichts zu tun. Vorübergehend zog ich sogar in Erwägung,
mich kurzer Hand für gestern und heute krank zu melden, um diese Rede
vorbereiten zu können. Vorbilder für solches Verhalten hatte ich ja
genug. Zitat eines Kollegiaten: „Herr Gnandt, bei den vielen
Schulaufgaben zur Zeit ist es aber auch sehr schwierig, am Tag vor
einer Prüfung nicht krank zu sein.“
Sollte
ich nun für diese Rede wieder einmal den guten alten Faust zu Rate
ziehen? Nun, wer mich kennt, der weiß, dass ich mit Fäusten nicht
so gut umgehen kann und außerdem – die anwesenden Germanisten und
Humanisten mögen es mir verzeihen – lagen mir Schiller und Goethe noch
nie so recht. Was aber aber ganz auf Gegenseitigkeit beruht, wie folgendes Zitat Goethes zeigt: „Die
Mathematiker sind närrische Kerls und sind so weit entfernt, auch nur
zu ahnen, worauf es ankommt, dass man ihnen ihren Dünkel nachsehen
muss.“
Ich
danke euch, dass ihr mir meine Dünkel immer nachgesehen habt, auch wenn
ich nicht so recht weiß, ob ihr mich in den letzten Jahren als
„närrischen Kerl“ erlebt habt. Sicher, wir hatten schon manchmal unsere Meinungsverschiedenheiten. Vor allem dann, wenn es um so völlig nebensächliche Dinge wie „Sauberkeit im Kollegstufenzimmer“ oder „Pünktlichkeit“ ging. Nur
als dann besagtes Kollegstufenzimmer im März dieses Jahres von so einem
närrischen Kollegstufenbetreuer wegen – nennen wir es einmal – „zu
geringerer Trefferquote im Papierkorb“ – allgemein sagt man dazu
„übermäßige Verschmutzung des Fußbodens“ – als also das
Kollegstufenzimmer von mir einfach zugeschlossen wurde, da standen die
Stufensprecher plötzlich überpünktlich bei mir, nur um den Wunsch zu
äußern, das Zimmer von Grund auf reinigen zu dürfen.
Von
Einigen der hier Anwesenden einmal abgesehen, besserte sich im Verlauf
der Kollegstufe eure Einstellung zum Aufräumen und zur pünktlichen
Anwesenheit insgesamt nur unwesentlich. Dafür zeigten sich aber in der
Sprachentwicklung erstaunliche Fortschritte. Seit
zwei Tagen haben wir es ja auch wieder einmal amtlich: Bayerische
Schüler haben gegenüber Gleichaltrigen in Bremen beim Leseverständnis
einen Wissensvorsprung von mehr als einem Schuljahr. Das
können wir ja gleich einmal auf die Probe stellen. Von einer Schülerin
erhielt ich einmal die folgende Notiz. Man achte auf die vielfältige,
aber stets korrekte Verwendung des Personalpronomens „sie“!
Zitat:
„Meine Klausuren zurück an Herrn Drabke (D) und Frau Scheidler (E);
Bettinas Klausur an sie, weil sie sie noch nicht gesehen hat, da ich
sie für sie mitgenommen hatte am Freitag. Danke. (Bei Rückfragen:
E-Mail oder Telefon.)“ Ende des Zitats. Alles klar, oder? Selbstverständlich wurde der Vorname aus Datenschutzgründen von mir geändert.
Wozu also Klassiker zitieren, wenn die allerbesten Vorlagen und Ideen für eine Abiturrede von euch selbst stammen! Zu
guter Letzt behielt ich also doch wieder Recht: Es lohnt sich, wenn man
sich langfristig auf einen Termin vorbereiten – sei es ein Referat,
eine Schulaufgabe oder eine Abschlussfeier. Und selbst dann, wenn diese
Vorbereitung nur darin besteht, zwei Jahre lang Schüleräußerungen zu
sammeln!
Als Kollegstufenbetreuer hat man aber immer auch wieder mit der Mathematik zu kämpfen: Ich meine jetzt nicht die durchaus komplizierte Notenarithmetik der Art: „Wenn
ich 4 Punkte in der Physik-Schulaufgabe schaffe und im Mündlichen 6,
dann packe ich die Grundkurs-Hürde in Physik und muss dann nicht in
Englisch Colloquium machen, sondern kann bei Religion bleiben, weil ich
sonst 7 Grundkurs-Hürden hätte.“ Oder so ähnlich. Nein, mir geht es um ein viel schwerwiegenderes Problem: 149
ward ihr am Anfang. Ein-hundert-neun-und-vierzig! Der Albtraum für
einen Mathematiker. 149 – eine Primzahl! Wie soll man so eine Gruppe
vernünftig aufteilen? 149 geteilt durch 4 ist 37 – Rest 1. Wie
oft stand Jan – als Letzter im Alphabet – mutterseelenalleine auf der
letzten Seite der Anwesenheitsliste und musste sich dafür dann auch
noch gehässige Bemerkungen seiner Mitschüler als „Papierverschwender“
gefallen lassen.
Bevor aber jetzt hier der Eindruck entsteht, in der Kollegstufe habe nur Chaos geherrscht, muss ich das gleich richtig stellen: Eine
ganze Gruppe von Kollegiatinnen und Kollegiaten hat neben der Schule,
neben den Abiturprüfungen, aber vor allem auch danach nicht gechillt,
sondern geplant, gerechnet und organisiert, damit diese Feier heute
Abend gut gelingt. Herzlichen Dank an Nadine, Anna, Jan, Alexandra mit ihrem ganzen Team!
Aber lasst mich doch noch einen zu Wort kommen, der heute schon einmal zitiert wurde. Von
Albert Einstein stammt die Aussage: „Ich unterrichte meine Schüler nie;
ich versuche nur, Bedingungen zu schaffen, unter denen sie lernen
können.“ In
diesem Sinn habe ich meine Aufgabe immer verstanden. Ich habe euch
nicht unterrichtet, aber ich habe versucht, euch in diesen – sicher
nicht immer ganz einfachen – Jahren zu begleiten und euch den Weg zum
Abitur zu ebnen. Es
wird den Einen oder Anderen geben, der dies im Moment noch ganz anders
sieht. Aber vielleicht werdet ihr mir später einmal Recht geben, wenn
ihr an eure Kollegstufenzeit zurückdenkt! Bei
der alltäglichen Arbeit als Lehrer und als Kollegstufenbetreuer waren
mir nicht das Abstempeln von Entschuldigungen, das Einsammeln von
Empfangsbestätigungen, oder die Organisation von
Informationsveranstaltungen wichtig, sondern, dass ich es mit Menschen
zu tun hatte, dass ich für Menschen wie euch da sein durfte.
Was
gibt es sonst noch zu sagen? Vielleicht noch das Eine: Während unsere
Fußballer in Südafrika noch intensiv für den erfolgreichen Abschluss
ihrer Torchancen trainieren müssen, habt ihr euer „Abenteuer Abitur“ –
euer „Abiteuer“ schon geschafft. Einige
von euch wollten zunächst gar nicht so recht daran glauben und
fieberten der Notenbekanntgabe arg nervös und auf das Äußerste
angespannt entgegen. Einige zweifelten so sehr an sich und ihren
Leistungen, dass sie vorsichtshalber schon mal ihre Schulbücher
behielten. Die Letzten registrierten sogar erst gestern, dass es mit
der Schulzeit nun tatsächlich zu Ende geht und gaben endlich ihre
Bücher ab. Natürlich bekommen auch die heute ihr Zeugnis.
Und für die Zeit danach wünsche ich euch allen, dass ihr im Rückblick über eure Zeit am Dalberg-Gymnnasium sagen könnt: „Es war schön, dort zur Schule gegangen zu sein. Es ist schön, zur Dalberg-Familie zu gehören!“ Auf Wiedersehen! Christoph Gnandt