12.
März 1930: In der indischen Stadt Ahmedabad macht sich der
Freiheitskämpfer Mohandas Karamchand Gandhi – bei uns besser unter dem
Namen Mahatma Gandhi bekannt – auf den Weg an das arabische Meer,
um dort symbolisch Salz zu gewinnen und mit dieser Aktion gewaltlos
gegen die Unterdrückung durch die britische Kolonialmacht zu
demonstrieren.
Zeitsprung
– 15. September 2009: Im unterfränkischen Aschaffenburg macht sich der
Oberstufenkoordinator Christoph Gnandt – auch unter dem Synonym Mahatma
Gnandthi bekannt – auf den Weg, um den hier versammelten
Oberstufenjahrgang auf den Gipfel des Abiturs zu führen und so zu
beweisen, dass man dieses Ziel in Bayern in Zukunft auch schon in acht
Jahren schaffen kann. Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
als
ihr euch im Herbst letzten Jahres mit deutlicher Mehrheit dafür
entschieden habt, eure Abiturzeitung und den heutigen Abend unter das
Thema „Mahatma Gnandthi“ zu stellen, war euch sicher nicht bewusst,
dass es durchaus einige Gemeinsamkeiten der beiden soeben geschilderten
historischen Ereignisse gibt.
Ihr
müsst aber zugeben, die alternativen Vorschläge wie z.B. „Stars gehen
früher“ oder „Versuchskaninchen“ hatten es von Beginn an schwer. Ihr
seid doch in den vergangenen acht Jahren hoffentlich nicht zu
Kaninchen erzogen worden, die bei der erstbesten Schwierigkeit einen
Haken schlagen und sich in ihrem Bau verkriechen!
Gestattet
mir aber eine kritische Vorbemerkung: Gandhi tat sich selbst mit dem
Beinamen „Mahatma“, der ihm bereits 1915 nach seiner Rückkehr aus
Südafrika verliehen wurde, sehr schwer. Bedeutet „Mahatma Gandhi“ doch
übersetzt so viel wie „große Seele Gandhi“. Ich muss sagen, dass ich
seine Bedenken teile. Man möge doch bitte einmal kurz über die
wörtliche Übersetzung von „Mahatma Gnandthi“ nachdenken!
Man
würde mich aber völlig zu Recht der Blasphemie beschuldigen, wenn ich
meine eigene Person auch nur im Entferntesten mit der Mahatma Gandhis
vergleichen oder mich gar auf die gleiche Stufe stellen würde. Doch
wie bereits erwähnt: Einiges haben wir durchaus gemeinsam! Ich will
dies im Folgenden kurz aufzeigen, wobei mir durchaus bewusst ist, dass
ich vom geschätzten Auditorium höchste Konzentration fordern muss, sind
doch die Unterschiede zwischen „Gandhi“ und „Gnandthi“ nur minimal und
erfordern extrem genaues Hinhören. Aber der Abend ist ja noch jung und
die Feier hat ja gerade erst begonnen.
Beginnen
wir zunächst einmal mit den Unterschieden zwischen Gandhi und Gnandthi:
Da wäre erst einmal die Zahl derjenigen zu nennen, die sich zusammen
mit ihrem jeweiligen Anführer auf den Weg gemacht haben. Wurde Gandhi
1930 anfangs von nur 78 Anhänger begleitet, so konnte Gnandthi 79 Jahre
später schon mit 107 Schülerinnen und Schülern in die 11. Klasse
starten. Bei Gandhi nahm diese Zahl sehr rasch zu, so dass er nach 24
Tagen gemeinsam mit mehreren Tausend Indern an seinem Ziel ankam.
Das
war bei uns doch ein klein wenig anders: Wir brauchten über 600 Tage
für unseren Weg auf den Abiturgipfel und unsere Zahl nahm dabei leider
auch etwas ab. Einige haben es sogar zum Schluss noch einmal so richtig
spannend gemacht, ob sie es wirklich ganz nach oben schaffen würden. Eigentlich
bin ich sogar richtig froh darüber, nicht einen so starken Zuspruch wie
Gandhi gefunden zu haben. Es wäre sonst in der Sporthalle bei den
Abiturprüfungen doch ein wenig eng geworden.
Wenn
wir uns nun die Ziele ansehen, die Gandhi und Gnandthi verfolgten, so
sind wir aber schon fast bei den Gemeinsamkeiten angekommen. Gandhi
schlug den Weg des gewaltfreien Kampfes ein, um die Unabhängigkeit des
ganzen indischen Volkes zu erreichen. Bei Gnandthis Anhängern ging es
neben dem Kampf um die Unabhängigkeit von der Schule, also das
erfolgreiche Bestehen der Abiturprüfungen, aber vor allem auch um so
enorm wichtige Dinge wie den täglichen Kampf um den Sitzplatz in der
Mensa oder gar um den Kampf für ein eigenes Kollegstufenzimmer.
Gemeinsam
war auch die sogenannte „Kampagne der Nichtkooperation“. Gandhi
verstand darunter, dass indische Arbeiter und Angestellte einfach nicht
mehr für die britischen Kolonialherrscher tätig wurden. Die Anhänger
Gnandthis haben diese Nichtkooperation hin und wieder etwas anders
verstanden, wenn ich z.B. an die rechtzeitige Abgabe von
Belegungszetteln oder Entschuldigungen denke! So war es leider hin und
wieder notwendig, Teile der Anhängerschaft durch gewisse „härtere“
Methoden wieder auf den gemeinsamen Weg einzuschwören. Kürzlich
mussten wir sogar sämtliche Uhren im gesamten Schulhaus anhalten, nur
damit zwei Schülerinnen doch noch rechtzeitig ihre Anmeldung für die
Abiturprüfung „pünktlich“ abgeben konnten.
Aber
es gab auch Ausnahmen! Auf viele von euch konnte man sich immer
verlassen. So z.B. die Stufensprecherinnen und -sprecher oder
diejenigen, die eifrig Broschüren und Infomaterial bei mir abholten,
nur um dieses Material dann in den Klassenzimmern mehr oder weniger
elegant auf dem dort schon vorhandenen Stapel zu drapieren.
Eine
Person möchte ich hier namentlich erwähnen. Es ist Lena, die auch
Schülerin unserer Schule war und fast schon nebenher ihr Abitur gemacht
hat. Über Jahre hinweg war sie nicht nur als Klassen- oder
Stufensprecherin tätig, sondern war auch als Schülersprecherin immer
da, gab stets Auskunft und half mit, wenn Not am Mann – oder besser an
der Frau – war. Ich denke da an so manche Rundmail von dir, wenn es im
letzten Augenblick noch eine Kuchenaktion oder ähnliches zu
organisieren galt! Lena,
es ist schon weit mehr als Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet du
heute Abend dein Abiturzeugnis noch nicht in Händen halten kannst, weil
du krankheitsbedingt noch eine Prüfung nachholen musst. Trotzdem:
vielen Dank für alles, was du am Dalberg für die Schulfamilie
geleistet hast und wir alle wünschen dir noch viel Erfolg bei deiner
letzten Prüfung! Sowohl
bei Gandhi als auch bei Gnandthi galt es, unterwegs so manche
Hindernisse zu überwinden. Mahatma Gandhi musste sich natürlich mit
der britischen Polizei und der Verwaltung auseinander setzen. Gnandthi
bekam auch seine Knüppel in den Weg geworfen. Nein, ich spreche jetzt
ausdrücklich nicht von diversen Schreiben eines bayerischen
Ministeriums, die oft in letzter Minute – manchmal auch noch später –
auf meinem Schreibtisch landeten und irgendwelche Feinjustierungen an
den Bestimmungen der Oberstufe zum Inhalt hatten.
Nein,
ich spreche hier von den Massen an Entschuldigungen, die in den
vergangenen 654 Tagen im Briefkasten landeten – obwohl die Bürotüre
offen stand – und ein sinnvolles Arbeiten oft schier unmöglich machten.
Keine Pause, keine Freistunde verging, in der nicht
Unterrichtsbefreiungen ausgestellt werden mussten, sogar beim
Mittagessen in der Mensa! Eigenartigerweise war diese Art der
„Freizeitbeschäftigung“ besonders im Anschluss an Schulaufgaben
gefragt. „Ich brauche jetzt eine Befreiung“ wurde dann zur üblichen
Begrüßungsformel, wenn Schüler das Oberstufenbüro betraten – man hätte
es ja auch etwas freundlicher formulieren können. Manche
Gründe für eine Befreiung konnte ich gar nicht so recht nachvollziehen.
So wollte doch ein Schüler einmal eine Unterrichtsbefreiung, weil die
Firma, in der er nebenher arbeitete, an diesem Tag eine Betriebsfeier
hatte. Da fragt man sich als Lehrer schon, ob denn hier die Prioritäten
noch richtig gesetzt sind!
Und
da waren ja auch noch die vielen kleineren Stolpersteine auf dem Weg
zum Abitur, man denke nur an die kaputten Uhren in der Sporthalle beim
Deutsch- und Mathematik-Abitur oder an den Feueralarm während der
Kolloquiumsprüfungen – es hätte kaum noch schlimmer kommen können. Zwei Gedanken möchte ich euch zum Schluss noch mitgeben. Gandhi
sagte einmal: „Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen
Geschwindigkeit zu erhöhen.“ Euch wurde in eurer Schulzeit mit dem G8
schon eine solche Geschwindigkeitserhöhung verordnet. Hin und wieder
schadet es nicht, einmal ein wenig auf die Bremse zu treten, inne zu
halten und das bereits Erreichte zu überblicken, bevor man weiter geht.
Mit
dem heutigen Tag habt ihr bewiesen, dass man auch nach acht Jahren
schon sein Abitur machen kann. Rückblickend muss ich sagen, dass man es
bei manchen Dingen aber schon gemerkt hat, dass ihr im Durchschnitt ein
Jahr jünger seid als die bisherigen Abiturienten – und das nicht nur
bei der Frage, ob jetzt eure Eltern noch die Entschuldigung
unterschreiben müssen oder ob ihr es schon selbst machen dürft. Und ein Letztes, dann bin ich erst einmal still: Bleibt nicht auf dem Abiturgipfel stehen, sondern geht euren Weg weiter. Mit
dem Salzmarsch Gandhis im Jahr 1930 war noch lange nicht das
eigentliche Ziel erreicht. Es bedurfte noch vieler
Auseinandersetzungen, Verhaftungen, Gefängnisaufenthalte,
Hungerstreiks, bis Indien 17 Jahre später endlich unabhängig wurde. Nehmt
also auch ihr den oder die nächsten Gipfel in Angriff, aber behaltet
dabei ein anderes Zitat Gandhis im Kopf, der einmal sagte: „Sei du
selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ Macht
euch also auf den Weg, eure Unabhängigkeit, euer Lebensziel zu
erreichen und dabei die Veränderungen zu bewirken, die ihr für euch,
für euer Leben, für unsere Welt wünscht! Christoph Gnandt